Die Narbe by China Miéville
Autor:China Miéville [Miéville, China]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-07-26T04:00:00+00:00
»Zwei Wochen, Junge«, sagte Gerber, »bis ich wieder zur Arbeit gehen kann, meint er. Wenn ich übe und so weiter.«
Doch Gerber kam etwas zupass, wovon der Arzt nichts wusste: Er hatte nie schwimmen gelernt. So war er nicht gezwungen, sich umzugewöhnen, von einem ungelenken, platschenden und spritzenden Paddeln mit Armen und Beinen umzustellen auf die geschmeidigen, kräftesparenden Bewegungen eines Meeresbewohners.
Er saß am Rand des Piers, während seine Arbeitskameraden kamen und ihn begrüßten, erstaunt, besorgt, freundlich. Bastard John, der Delfin, reckte den Kopf aus dem Wasser, fixierte Gerber mit seinen blanken Schweinsäuglein und äußerte höchstwahrscheinlich Gehässigkeiten in seinem primitiven zetazeischen Gekecker. Doch an diesem Morgen ließ Gerber sich nicht einschüchtern. Er empfing seine Kollegen wie ein König, dankte ihnen für ihre Anteilnahme.
An der Grenze zwischen Hechtwasser und Jhour gab es einen freien Raum im Gefüge der Schiffe, Boote und Kähne: Ein Fleckchen Meer, das einem mittelgroßen Schiff als Liegeplatz gepasst hätte, diente als städtisches Schwimmbad. Nur sehr wenige der Piraten Armadas konnten schwimmen, und bei den herrschenden Temperaturen mochten noch weniger diese Kunst üben. Vielleicht eine Hand voll Menschen, besonders mutig oder masochistisch veranlagt, nutzten den Meeresteich, um regelmäßig ihre Runden zu drehen.
Stundenlang, an diesem Tag und dem nächsten und dem nächsten, erforschte dort Gerber Walk seine neuen Möglichkeiten, machte sich langsam, vorsichtig bekannt mit seinem veränderten Körper, breitete untergetaucht die Arme aus und die Hände, spreizte die Finger, schaufelte sich mit den Schwimmhäuten ruckweise durchs Wasser. Er trat mit den Beinen aus wie beim Brustschwimmen, die noch wunden Zehen bogen und streckten sich, unter Schmerzen, kraftvoll. Die kleinen Organismen, die er unter seiner Haut weder sehen noch spüren konnte, molken winzigste Drüsen und verliehen seinem Schweiß eine ölige Konsistenz, die Gerber half, leichter durchs Wasser zu gleiten.
Er öffnete die Augen und lernte, nur die inneren Lider zu schließen – ein außergewöhnliches Gefühl. Er lernte, im Wasser zu sehen, ohne die Behinderung durch einen klobigen Helm, durch Eisen und Messing und Glas. Nicht durch ein Sichtfenster spähen müssen, sondern frei um sich schauen können, das uneingeschränkte Blickfeld ausnutzen.
Am schwersten und mit der größten Überwindung – allein, denn wer hätte ihn unterweisen sollen? – lernte Gerber zu atmen.
Als Wasser in seinen Mund strudelte, verschloss ein Reflex seine Luftröhre, die Zunge wölbte sich hoch, die Kehle zog sich zusammen und versperrte den Weg in den Magen, und das Salzwasser bahnte sich einen Weg durch die empfindlichen neuen Kanäle und weihte sie in ihre Aufgabe ein. Er schmeckte Salz so intensiv, dass er es bald nicht mehr wahrnahm. Er fühlte Wasserströme durch sich hindurchfließen, durch seinen Hals, seine Kiemen und beim zwiegeschwänzten Seibeiuns!, dachte er, weil er nicht das Bedürfnis verspürte, nach Luft zu ringen.
Vor dem Untertauchen hatte er tief eingeatmet, aus Gewohnheit, aber die voll gepumpten Lungen verliehen ihm zu viel Auftrieb. Langsam, mit einem Gefühl wohliger Panik, atmete er durch die Nase aus und sah den Strom der Luftblasen zur Oberfläche perlen.
Und fühlte nichts. Keinen Schwindel, keine Erstickungsangst. Nach wie vor wurde sein Blut mit Sauerstoffversorgt und sein Herz schlug.
Über ihm paddelten
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